Ausgabe 1 / 22. März 2023 |
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| | Postkartenmotiv zum Festival Off Europa Heimat Landschaften © Gabi Altevers |
| | Liebe Leserinnen und Leser, hier ist er - der erste Newsletter des Festivals Off Europa. In 7 Ausgaben nähern wir uns unserem diesjährigen Thema “Heimat Landschaften” und blicken auf die Facetten, die dieses Thema bietet. Jeder Newsletter hat einen spezifischen Fokus, liefert Hintergründe zum Programm und befragt Aktivist:innen, die in Sachsen oder anderswo wichtige Kulturarbeit leisten. Außerdem wird jeweils ein literarischer Text und eine künstlerische Position vorgestellt. Die erste Ausgabe widmet sich dem Thema "Heimat los", angelehnt an den Titel eines Lesekonzertes mit Gabriele Stötzer und dem Ensemble für Intuitive Musik Weimar im Festivalprogramm in Chemnitz. Wo ist Heimat, in Zeiten von Krieg und Vertreibung? Und: welche Rolle spielt die Kultur in Krisenzeiten, als Mittel der Verständigung, der Begegnung, der Reflexion? Wir sprechen mit Georg Genoux und Anastasia Tarkhanova über Ihre Kulturarbeit in der Ukraine und über Theater als Möglichkeit, Menschen einander näher zu bringen. Die Kuratorinnen Olga Vostretsova und Kristina Semenova stellen das Büro für kulturelle Übersetzung (Бükü) Leipzig vor und beleuchten koloniale Aspekte von Sprache. Hanna Remestvenska zeigt ihre Serie von Gemälden zum Ukrainekrieg und der Schriftsteller Thaer Ayoub sinniert in einem erstmals veröffentlichten Gedicht über die Sehnsucht nach Heimat. Wir freuen uns über Ihr Interesse. Empfehlen Sie uns gern weiter, und besuchen sie unsere Aufführungen im Mai 2023 in Leipzig, Dresden oder Chemnitz. |
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| | | Filmstill aus “Mein Mykolaivka” © Stas Yurchenko |
| I Georg Genoux und Anastasia Tarkhanova |
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| | Georg Genoux ist Theaterregisseur und Kurator. Er arbeitet schon seit über 20 Jahren in Krisenregionen, besonders in Osteuropa.2022 wurde Georg Genoux zum Leiter des soziotheatralen “Thespis Zentrum” in Bautzen in Sachsen. Er ist zudem Kurator des Theaterfestivals “Willkommen Anderswo”. |
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| | Die Bühnenbildnerin und Designerin Anastasia Tarkhanova arbeitete seit 2018 in verschiedenen Theater- und Filmprojekten in der Ukraine, in Bulgarien und Deutschland. Auch sie ist am “Thespis Zentrum” des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters in Bautzen engagiert. |
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| Georg Genoux und Anastasia Tarkhanova sind im Rahmen von Off Europa Heimat Landschaften mit zwei Produktionen zu Gast. Wir zeigen “Mein Mykolaivka” (UKR 2015), einen Film, der nach Ausbruch der ersten Kampfhandlungen im Osten der Ukraine entstand, als dort eine Schule zum Zufluchtsort wurde und Georg Genoux mit den Menschen vor Ort ein Theaterprojekt erarbeitete. Und wir zeigen “Vor deinen Augen verbeuge ich mich” (D 2021), der Genouxs und Tarkhanovas Recherche- und Theaterprojekt “Das Land, das ich nicht kenne” in der sächsischen Provinz begleitet. |
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| Sie bringen Menschen ins Gespräch, mit den Mitteln des Theaters, aber auch im Rahmen von Workshops und Diskussionen. Dabei treffen durchaus Menschen aufeinander, die sonst vielleicht gar nicht miteinander sprechen würden (ich las zum Beispiel von einer Begegnung zwischen Schülern und stationierten Soldaten entlang der ukrainischen Frontlinie). Wie schaffen Sie es, solche Begegnungen auf Augenhöhe zu ermöglichen? Was ist Ihnen dabei wichtig? Anastasia Tarkhanova: Es ist wichtig Menschen nicht in Gruppen mit irgendwelchen “Merkmalen” einzuordnen. Damit sie sich nicht bei den Proben oder auf der Bühne “wie im Zoo ausgestellt” fühlen. Sie sind für uns interessant, weil sie “SIE” sind und nicht “Schüler aus dem Donbass”, “ukrainische Soldaten”, “Ostdeutsche”, “Rechte” oder “Linke”. Unterstützung und gegenseitiger Respekt sind die Grundlagen für ein gutes Gespräch und daraus folgend einer Theaterinszenierung. Georg Genoux:
Mich interessieren diese Menschen einfach, mit denen ich arbeite. Für mich ist die menschliche Seele, Psyche bzw. Geschichten von Menschen, die vor mir sitzen, spannender als ein Thriller von Hitchcock. Besonders Schülern kann man kaum etwas vormachen. Die haben ja schon ihren Röntgenblick in die Seele der Erwachsenen an ihren Eltern und Lehrern trainiert. Ich mache einfach das, was mir Sinn und Freude macht und ich hoffe, andere spüren das. Auf Augenhöhe? Ich weiß nicht, wie man sonst mit Menschen sprechen könnte. Das Dokumentartheater ist eine Nischenform, ein eher selteneres Theatererlebnis, besonders wenn es nicht den Zeitgeist abbildet, sondern die Geschichten von “einfachen Menschen abseits der Bühne”. In Ihren Stücken stehen meist die Erzählenden selbst im Mittelpunkt und auf der Bühne, sie leben und erleben Ihre Geschichten vor Publikum. Geht damit manchmal eine Katharsis einher, eine Erleichterung durch das Teilen? Wie viel Verfremdung und welche theatralen Mittel nutzen Sie in der Regie, um diese Geschichten zu illustrieren? Und: ist diese Art des Theater-Machens ein gemeinschaftlicher Prozess, ein Gruppenprozess? Georg Genoux:
Ich bin kein Freund davon Theater in irgendwelche Schubladen, wie “Dokumentartheater” zu sperren. Wozu? Ich mache Theater, in der die Wirklichkeit und Menschen aus dieser eine entscheidende Rolle spielen. Aber es ist halt Theater, nicht mehr und nicht weniger. Was dann konkret in einer Inszenierung gemacht wird, hängt von Fall zu Fall ab. Ich kenne kein Theater, das kein “gemeinschaftlicher Prozess, ein Gruppenprozess” ist. Anastasia Tarkhanova: Ich stimme dem nicht zu, dass wir “Dokumentartheater” machen oder in einer dokumentarischen Methode arbeiten: Da gibt es andere Werte und Orientierungen: Die Reihenfolge von Dokumenten, deren Echtheit, die Fakten. Oder Verbatim: Die wortgenaue Übertragung der Worte eines Menschen, der “Sponsor” mit seiner Geschichte ist. Die Bürgerbühne - eine wesentlich mehr soziale und humanere Theaterform, finde ich - unterscheidet sich auch dadurch, dass ein Teilnehmer nicht “Sponsor einer Geschichte” oder “Objekt einer Untersuchung” bzw. kein “Mittel” ist. In der Bürgerbühne kann man nicht einfach mit einem Menschen ein Interview nehmen und sich dann von ihm verabschieden. Hier er- und durchlebst du mit jedem Teilnehmer ein kleines Stück Leben, wirst zu dessen “Freund”, trittst in dessen Leben ein und lässt ihn auch gerechterweise in dein Leben eintreten. Und ganz wichtig: Ihr seid auf Augenhöhe, denn ihr seid ja beide Bürger. Was die Katharsis betrifft: Ich glaube nicht, dass sie allein durch die Geschichten der Teilnehmer*innen erreicht wird. Das ist die Aufgabe des Regisseurs oder Dramaturgen. Über eine Inszenierung ist es nicht möglich, mit "allgemeinen Worten” zu sprechen, jede hat seinen ganz individuellen künstlerischen Weg. Aber die Tatsache, dass unsere Teilnehmer*innen die Möglichkeit haben, durch das Erzählen sich wie von außen zu sehen, ist für sie eine wichtige Erfahrung. Besonders, wie Georg sagt, die Teilnehmer*innen haben so oft die Möglichkeit sich nicht mehr als Opfer, sondern als Helden ihrer Lebensgeschichte fühlen, die für den Zuschauer sehr interessant ist Der tägliche Nachrichten-Blick auf den russisch-ukrainischen Krieg lässt einen oft ratlos, gar hoffnungslos zurück. Als jemand, der bereits 2015 entlang der Frontlinien arbeitete und den Menschen mit seinen Theaterprojekten dort Hoffnung und Möglichkeiten der Kommunikation gab - wie hat sich Ihr Blick auf diesen Konflikt verändert? Was kann man im Kleinen bewegen, um sich nicht so hilflos zu fühlen? Wie können die Wunden, die dort tagtäglich gerissen werden, wieder heilen? Und: Kann Kultur diese Prozesse des Heilens, der Versöhnung gar, positiv beeinflussen? Anastasia Tarkhanova: Theater kann an der Realität nichts ändern. Es kann den Krieg nicht beenden, nicht die Infrastruktur der Städte im Donbass verbessern oder den Alltag voller Probleme verändern. Aber Theater hat eine erstaunliche Eigenschaft. Mich erinnert der Prozess der Schaffung einer Theaterinszenierung - besonders wenn wir mit Jugendlichen in und aus der Ukraine arbeiten - an die Vorbereitung zu einem Fest. Gemeinsam mit unseren Teilnehmer*innen arbeiten wir eine gewisse Zeit mit voller Kraft daran, dass dieses Fest stattfindet: Ein Fest, in dem sie auf der Bühne glänzen können, wo sie selbstbewusst sprechen und geistreiche Dinge sagen werden. Ein Fest, bei dem sie die Unterstützung der anderen und der Zuschauer spüren werden. Wo sie miteinander bekannt werden, sich schließlich anfreunden. In diesem Prozess unserer Gespräche formulieren unsere Teilnehmer*innen für sich neue Entdeckungen: Über sich selbst, über die Gleichaltrigen, über die Städte, wo sie ein Leben lang gelebt haben, oder das Land, in dem sie aufwachsen. Das ändert nichts in ihren Städten, aber an das Ereignis des Festes werden sie sich noch oft im Leben erinnern. Sie machen eine große Erfahrung, was es bedeutet Verantwortung zu übernehmen und Autoren einer “coolen Sache” zu sein, die auch von Erwachsenen sehr ernst genommen wird.
Georg Genoux:
Seit Winter 2014 arbeite ich im Donbass im Osten der Ukraine mit Schüler*innen, Bürger*innen und Soldat*innen. Mein Blick hat sich nicht so viel verändert, denn ich erlebe ja, wie Russland in der Ukraine seit 2014 Krieg führt und nicht eben erst seit 2022. Mir ist wichtig, dass wir den Ukrainern mit allem Möglichen beistehen, dass sie verhindern können, dass sie die russischen Soldaten in ihrem Land abschlachten. Es ist schon extrem zynisch, wie der Begriff Frieden von Leute wie Wagenknecht und Schwarzer missbraucht wird. Sie machen sich mitschuldig an dem Tod und Leid von vielen Menschen. Ich habe 17 Jahre in Russland gelebt und kann Ihnen eines garantieren: Putin lacht sich über solche nützlichen Idioten tot. Für ihn zählt nur ein Argument: Die militärische Stärke des Anderen. Wenn er sieht, dass es militärisch nichts mehr zu gewinnen gibt, dann wird er bereit zu Verhandlungen sein. Bis dahin wird er in der Ukraine weiter töten, es werden weiter von den Russen Frauen vergewaltigt und Kinder entführt. Und lernen wir doch auch mal ein bisschen aus der Geschichte: was wäre, wenn England Hitler mit Verhandlungen klein beigegeben hätte? Immer häufiger spricht man heute von der Wichtigkeit der Narrative, der Erzählungen. Die kleinen Geschichten, die das Leben abseits der Theaterbühnen schreibt, sollen helfen, Gräben zwischen den Menschen zu überwinden und eine neue Kultur, die des Zuhörens und des Empathisch-Seins zu stärken. Aber: können wir überhaupt noch zuhören? Und andocken an die Geschichten der Anderen? Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Publikum, auch mit Passivität und Sprachlosigkeit? Georg Genoux: Das ist ja das Spannende an der Sache. Die Menschen sind überflutet von Reizen, Medien und den Versuchen sie zu manipulieren. Auch im Theater. Es besteht eine tiefe Sehnsucht nach “dem sich aussprechen und dem sich mitteilen”. Das Erzählen und Zuhören ist dabei die schönste und beste Theaterform. Das Erzähltheater verbindet heute Menschen auf Augenhöhe. In einer Gesellschaft, die vor Spaltungen nur so ächzt, ist es eine über das Theater hinaus wachsende Kunstform, die die Brücken bauen kann, die uns sonst so schmerzlich fehlen. Und es kann in so vielen verschiedenen wunderschönen Theaterformen stattfinden. Anastasia Tarkhanova: Die Bürgerbühne oder das Theater, mit dem wir uns beschäftigen, ist nicht nur oder bloß Erzähltheater. Es ist das Theater der Geheimnisse, die vorher niemand wusste und die sich jetzt zum ersten Mal auf der Bühne eröffnen. Aber WIE sie sich eröffnen, ist jedesmal eine Herausforderung. 2019 haben wir mit der Inszenierung des Projektes Misto to Go für uns alle eröffnet, wie Schüler*innen in kleinen Städten im Donbass in ihren Höfen vor den Wohnhäusern aufwachsen. Sie haben es dann mit ihren Körpern durch Bewegungen ausgedrückt, woraus auf der Bühne eine Art Meta - Donbas- Hof des Erwachsenwerdens entstand. Damit der Zuschauer eine Geschichte hören möchte, muss man es so machen, dass es ihn fasziniert, mit dem Erzählenden jetzt Zeit zu verbringen. Dass es etwas zu verfolgen gibt. Also alles Merkmale einer guten Theaterinszenierung. Unser diesjähriges Festival-Thema ist Heimat Landschaften. Heimat ist dabei ja ein Begriff, von dem man gern behauptet, er hätte keine adäquate Entsprechung in vielen anderen Sprachen. Was bedeutet Heimat für Sie, die Sie viel unterwegs sind und sicher mehrere Wahlheimaten haben? Was charakterisiert Heimat, was macht Heimat greifbar? Anastasia Tarkhanova:
Das ist ein Ort, der dich annimmt. Und Menschen, mit denen man auswendig dasselbe Lied singt. Georg Genoux: Heimat ist für mich überall dort, wo Anastasia ist. Wir arbeiten und leben zusammen und das ist unsere Heimat. Für mich ist Heimat kein örtlicher Begriff mehr, sondern ein seelischer. Es können viele Orte sein, an denen Du Dich geborgen, verstanden und geliebt fühlst. Oder selber Geborgenheit schaffst, die Menschen verstehst und liebst. Ich denke, Anastasia und ich haben wirklich mehrere solcher Orte. |
| | Wir zeigen “Mein Mykolaivka” und den im sächsischen Hagenwerder gedrehten Film “Vor deinen Augen verbeuge ich mich” mit begleitendem Gespräch in allen drei Festivalstädten. Durch die Abende führt der in Berlin lebende Dramaturg Uwe Gössel, der mit Georg Genoux und Anastasia Tarkhanova bereits in der Ukraine zusammen gearbeitet hat. |
| | II Büro für kulturelle Übersetzungen (Бükü) |
| Das Leipziger Büro für kulturelle Übersetzungen (Бükü) kümmert sich um das Sichtbarmachen zeitgenössischer künstlerischer Positionen aus dem postsozialistischen Raum und darüber hinaus. Ein zentraler Fokus der kuratorischen Arbeit liegt darauf, die künstlerischen Arbeiten mit ihren Einflüssen, Differenzen und Verbindungen für die Verhandlung offenzulegen und in gemeinsamer Annäherung mit einem engagierten Publikum darüber zu reflektieren. Olga Vostretsova und Kristina Semenova haben das Büro für kulturelle Übersetzungen 2014 gegründet. Wir sprachen mit ihnen über die Motivation hinter Бükü und über Kulturarbeit in Krisenzeiten. Was war eure Motivation zur Gründung des Büros für kulturelle Übersetzungen? Wir haben das Büro für kulturelle Übersetzungen 2014 gegründet, als kuratorisches Kollektiv und als Netzwerkplattform. Unser Ansatz war dabei, länderübergreifend zu arbeiten, unser Fokus lag zu Beginn auf dem postsowjetischen Raum. Das erste große Projekt in diesem Sinne war “The Third Space" (2015). Es ermöglichte eine Begegnung und Zusammenarbeit der Künstler:innen aus der Ukraine, aus Russland und Georgien in Leipzig. Gemeinsam mit eingeladenen Künstler:innen aus Leipzig arbeitete die Gruppe daran, die Natur zeitgenössischer Grenzkonflikte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und eine Denkweise „über die Grenzen hinaus“ zu erproben. Dies geschah durch gemeinsame Versuche, sich an die postkolonialen Konzepte der „kulturellen Übersetzung“ und „des dritten Raums“ (Homi K. Bhabha) anzunähern und diese in eigene künstlerische Reflexionen zu übertragen. Es erschien uns sinnvoll, in Zeiten der militärisch ausgetragenen Grenzkonflikte - wie bspw. der letzte größere Kaukasuskonflikt zwischen Russland und Georgien 2008 und der 2014 gerade entflammte Ukraine-Konflikt mit der russischen Annexion der Krim - die Begegnungen in Leipzig als Begegnungen an einem neutralen Ort zu veranstalten. Uns und unseren eingeladenen Künstler:innen war es wichtig, all diese Konflikte als Kriege zu bezeichnen - sie also nicht sprachlich zu beschönigen. Gerade für den Krieg in der Ukraine gab es viele Namen, so hörte man zum Beispiel oft “hybrider Krieg”, bewaffneter Konflikt im Donezbecken und ähnliche Bezeichnungen. In der Ausstellung „best evidence rule“, die am Ende des Projekts entstanden ist, nahm das Thema der Sprache und der Macht der sprachlichen Bezeichnungen auch eine wichtige Stelle in künstlerischen Arbeiten ein. 2023 benannte die ukrainische Community ihre Kundgebung “9 Jahre Krieg”, was deutlich zeigt, dass in der Ukraine der Ausnahmezustand schon seit Beginn als kriegerische Handlung wahrgenommen wird, nicht erst seit Februar 2022. Gemeinsam mit anderen Kulturschaffenden habt Ihr die Initiative “LISTOK – Leipziger Initiative für Solidarität und offene Kultur” gegründet, zur Soforthilfe für geflüchtete Künstler:innen aus der Ukraine und Belarus sowie russische Künsler:innen, die das Land aus politischen Gründen verlassen mussten. Was war die Idee dahinter, und was habt ihr bis jetzt erreichen können? Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine am 24. Februar 2022 war uns klar, dass wir sofort handeln müssen. Wir standen anfangs zusammen mit der Kunsthistorikerin und Künstlerin Marina Vinnik als Ansprechpartnerinnen für die Fliehenden Richtung Westen, aber auch für die Leipziger Freie Kulturszene, die helfen wollte. Wir waren sozusagen die Schnittstelle. Noch 2021 hat Kristina in ihrer Funktion als Referentin für Mittel- und Osteuropa bei der Stadt Leipzig das 60. Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Kyjiw koordiniert, so waren die Verbindungen in die Kyjiwer Kulturszene sehr lebendig. Mit der Leipziger Kulturszene hat unser Impuls breite Unterstützung erfahren und wir haben uns als ein temporäres Netzwerk in einer offenen Telegram-Gruppe, die bis jetzt funktioniert, organisiert. Unsere Forderung “Räume zu öffnen” meinte dabei einerseits finanzielle Soforthilfen für die geflüchteten Kulturarbeiter:innen, aber auch Unterstützung in Form von Honorarstellen oder Stipendien/ Förderungen, andererseits die Bereitstellung von Arbeitsräumen oder die Vernetzungsmöglichkeiten. Die Stadt Leipzig hat dann zwei Honorarstellen finanziert, um die LISTOK Arbeit zu strukturieren. Es gab auch viel Engagement und Solidarität auf der privaten Ebene, unter anderem in Form von Spenden oder bei der Organisation von Unterkünften. Mehr Sichtbarkeit hat unsere Initiative mit dem Treffpunkt ЗУСТРІЧ im Museum der bildenden Künste (MdbK) erfahren, im Rahmen dessen LISTOK Arbeitsstipendien an Geflüchtete vermitteln konnte. Uns war es vor allem wichtig, diese Stipendien für alle Geflüchteten anzubieten, unabhängig von Herkunftsland bzw. Staatsbürgerschaft. Natürlich war die Dringlichkeit in dem Moment klar, aber die Positionierung zu dem Thema war ein wichtiger Konsens der Leipziger Freien Kulturszene.
Im Rahmen dieser Arbeit zeigte sich immer wieder, dass Sprache ein Schlüssel zur Verständigung ist, aber ihre Verwendung auch viel Sensibilität erfordert. Wir beide haben einen russischen Hintergrund, leben aber seit mehr als 10 Jahren in Leipzig. Wir sind beide kritische Geister, haben das Konzept der Nationalitäten und Nationen, der Pässe und der Grenzen in unserer Arbeit immer hinterfragt. Wir hoffen, zwischen Staatsbürgerschaft und einem Menschen zu unterscheiden, auch zwischen der Sprache und was in dieser Sprache gesagt wird. Sprache als Schlüsselaspekt bleibt problematisch - denn zwar steht oft die russische Sprache im postsowjetischen Raum als Kommunikationsmittel zur Verfügung, gleichzeitig aber wird sie verständlicherweise von Vielen als Okkupantensprache wahrgenommen, die Sprache der Kolonialmacht, die es zu dekonstruieren gilt bzw. ganz abzulehnen. Nicht jeder fühlt sich also wohl, wenn man Russisch spricht. Wir haben viel darüber reflektiert und fragen jetzt immer nach, ob Russisch als Verständigungsmittel für unser Gegenüber in Ordnung ist bzw. Englisch bevorzugt wird. Das hat sich gegenüber der Situation von vor ein paar Jahren deutlich verändert. Durch die Praxis der kulturellen Übersetzungen sollen politische Grenzen als internalisierte Konstruktionen entlarvt werden und die gleichzeitige Existenz vieler ineinander verwobener gleichberechtigter Kulturen gezeigt werden - ein bemerkenswerter Satz aus Eurem Manifest. Gleichzeitig erstarken aber derzeit überall die nationalistischen Bewegungen, auch geschürt durch Kriege und Konflikte. Wie nehmt ihr das wahr, und was kann Kultur leisten, um dem entgegenzuwirken? Gerade haben wir über die kolonialen Aspekte der russischen Sprache geredet - dabei geht es ja auch um Sprache als Machtinstrument. Der Ukrainekrieg führt zu verschiedensten Bestrebungen, Sprache zu verändern, anzupassen. In Russland z.B. gibt es die Idee der Befreiung der russischen Sprache von Anglizismen. Dieses “Reinigen der Sprache” von den Einflüssen von außen hat faschistoide Züge und ist aus der linguistischen Perspektive eigentlich sinnlos, weil jede Sprache historisch gewachsene Transformationen erlebt. Zur Zeit der Gründung des Бükü waren die Verlinkungen und die Mehrdeutigkeit des postkolonialen Russlands eher ein Netzwerkfaktor für uns - jetzt wird alles zurück in die Geschichte eingeordnet, der Nationalismus wächst überall. Wir empfinden das als großen Rückschritt, denn Wachstum entsteht durch Austausch, durch den Reichtum anderer Kulturen wächst man selbst, man entwickelt sich. Der Wunsch, dass das Gegenüber “genauso ist wie ich”, ist ein Schritt zurück. Er führt dazu, dass es keine Reibung, keine Spannung, keine Entwicklung mehr gibt in dieser Kleinteiligkeit. Natürlich sind solche Tendenzen nachvollziehbar in Kriegszeiten, aber sie sind eventuell ein falscher Schritt für die Zukunft. Wir haben uns als einen transkulturellen Raum gedacht, für uns sind diese Begegnungen der Kulturen und deren Hybridisierung und Transformation spannend und nicht eine Abgrenzung, Reinigung. Wir wünschen uns andere Denkansätze in der Kulturarbeit, Ansätze, die diese Trennungen aufheben, und die Gemeinsamkeiten betonen. Das ist uns und auch Künstler:innen aus unserem Netzwerk wichtig. Hat die Arbeit des Büros für Kulturelle Übersetzung sich in den Jahren verändert? Ja natürlich – die Welt hat sich verändert, unsere persönlichen Situationen haben sich verändert. Zu Beginn hatten wir einen eigenen Kunstraum, den wir abgeben mussten. Nun sind wir viel mehr ein Kollektiv und eine Plattform. Ein Beispiel wäre ein interkontinentales Austauschprojekt 2020-2021 mit den Herausgeber:innen der kunstkritischen Zeitung "El Flasherito Diario" aus Buenos Aires und Leipziger Aktivist:innen. Aufgrund der Pandemiesituation mehrfach verschoben, erschien im Mai 2021 das zweisprachige Riso-Fanzine “Die Summe der Seiten/ La suma de las páginas“ das wir im Sommer 2021 zusammen mit Künstler:innen aus Buenos Aires und Leipzig in Spaziergängen und performativen Lesungen vorstellten. 2022 hat uns dann die Initiative LISTOK beschäftigt, wir haben uns bemüht, hier vor Ort in erster Linie als Netzwerkpartner:in zu fungieren. Auch jetzt ist das noch Teil unserer Arbeit, derzeit kommen allerdings verstärkt russische Intellektuelle hier an, die als Regimekritiker:innen auf der Flucht sind. Mit der Reihe "Gegen Krieg und Terror“, konzipiert von der Musikerin Marina Druzhinina und der Autorin Heike Geißler, die Text und Musik verband, sammelten wir Spenden einmal für Emergency Support Initiative der Kyjiw Biennale, und einmal für das Kollektiv FREEFILMERS Mariupol. Mit diesen Veranstaltungen wollten wir das Zeichen gegen alles Kriegerische setzen, das auf (Staats)Terror basiert. Bei der Veranstaltung las Heike Geißler aus den Tagebüchern des Künstlers Jonas Mekas, die er während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Arbeitslagern und auf der Flucht verfasste. Die Musik aus verschiedenen Zeiten bis zum jüngsten Stück von Igor Sloboda spielte das eigens dafür gegründetes Streichorchester LISTOK Chamber Players. Wir bemühen uns außerdem um die Vermittlung gesellschaftskritischer Projekte aus der feministischen Perspektive in unserer Programmgestaltung. Das aktuelle Projekt des Vereins, „Eine neue Bewegung: Re*mapping Leipzig“, ist eine App, die künstlerisch Geschichte und Gegenwart der Leipziger Frauen:bewegungen vermittelt und im Stadtraum sowohl vergessene Geschichten als auch gegenwärtige Konflikte sichtbar macht. Basierend auf den Texten der Autorinnen Olivia Golde, Carolin Krahl und Koschka Linkerhand entstanden Videos, Audios, digitale Comics und Augmented Reality Beiträge, die mittels einer WebApp zu einem künstlerischen Rundgang durch Leipzig einladen. Dabei kann man Orte entdecken, die eng mit der Geschichte der Frauenbewegung verknüpft sind. Am 19. März feierten wir das Release im Conne Island im Format eines queerfeministischen Vernetzungstreffens und ab jetzt kann jede Person die App erfahren. Im Frühjahr-Sommer werden wir einige Vermittlungsformate im öffentlichen Raum veranstalten.
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| | | Hanna Remestvenska, deren ursprüngliche Heimat die Ukraine ist, lebt seit 2004 in Chemnitz. Sie arbeitet als Gemeinwesen-Koordinatorin im Stadtteil Sonnenberg und ist außerdem als bildende Künstlerin tätig. Ihr Atelier ist im Viertel ein Begegnungsort. |
| | Ні війні / Nein dem Krieg / No War © Hanna Remestvenska |
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| Hanna schreibt über den Kriegsbeginn: Die ersten 10 Tage nach dem Kriegsausbruch 2022 fühlen sich im Nachhinein wie ein Blackout an. Ich habe gearbeitet, ich habe kommuniziert, und gegessen, und geschlafen, aber ich war in Gedanken nicht hier. Ich war in meiner Heimat, mit den Menschen die leiden. Ich habe sehr viel geweint in dieser Zeit. Eine gute Freundin half mir, wieder mit dem Malen beginnen zu können, sie gab den Impuls. Dieses Bild hat mich viel Kraft gekostet, aber es hat mich auch etwas geheilt. Die Symbole: die Katze, der Soldat - sie haben mich einfach gefunden. Titel des Bildes ist: Ні війні / Nein dem Krieg / No War. |
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| | калина та бавовна / Von meiner Heimat © Hanna Remestvenska |
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| Hanna, was bedeutet Heimat für Dich? Weißt du, es gibt diese eine Heimat - und es gibt das Zuhause. Ich mag Chemnitz. Diese Stadt hier, und insbesondere der Sonnenberg, das ist mein Zuhause. |
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| | Auf dem Weg zur Freiheit © Hanna Remestvenska |
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| Über die Serie mit Bildern zum Ukraine-Krieg: Ich habe ein weiteres, ein viertes Bild in meinem Kopf gehabt, aber ich denke, meine Seele beginnt jetzt mit dem Thema “Frieden” zu arbeiten. Ich glaube daran, dass sich in diesem Jahr alles zum Guten wenden wird, und dass ich meine Kraft in Friedensbillder investieren darf. |
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| | | Ich wurde als Palästinenser in Syrien geboren. Dort war es auch Asyl. Wenn ich keine Heimat in meinem Leben kannte, wie werde ich ein Exil kennen? Thaer Ayoub verfasst Gedichte, seit er zu schreiben gelernt hat. Das war vor mehr als 25 Jahren in Aleppo. Mittlerweile sind vier Gedichtbände von ihm auf Deutsch und Arabisch erschienen, zwei davon im Palisander Verlag in Chemnitz. Dort hat er seit 2015 mehrere Jahre gelebt, die deutsche Sprache gelernt und als zusätzliches Ausdrucksmittel übernommen. Derzeit lebt und arbeitet er in Berlin. |
| من الهروبِ إلى اللّاوصول مثلما طروادةُ كانت أعظمَ من غزاتها, فإنّ جروحي أعظمُ من الرّصاصات التي أحدثتها و مثلما لم ينحنِ أوديسيوس و لا حتى لزيوس, إنّما اختارَ رحلتَه برغم الضّياع الطّويل, فإني اخترتْ. كان الطّريقُ الذي مشيته مثل حدّ السّيف, غسلته بدمي, و احتملتُ, فمن لا يحتمل الألم, سيسقط في العدم. ليالينا التي لا تدعنا ندباتنا ننام فيها, هي التّعبير المسرحيّ عن ساديّة ذواكرنا التّي طحنتها مصطلحات مثل: وطن: "لم يعد هناك داعٍ من البحث عنه, لأنه لن يوجد, لأنه لم يوجد", يقول المتشائم المثاليّ. ثورة: "لم ننتصر, لكنّ ثورة صارت أمّاً لأجيال لن تنهزم", يقول المتفاؤل الواقعيّ. حرب: "هناك باب واحد للدّخول و للخروج. لا السّلام يمتلك مفتاحا لكي يدخل و لا الموتُ يملكُ مفتاحا لكي يخرج", أقول أنا, المتشائم الواقعيّ. هروب: من الحروب إلى البحور إلى دوائر اللّجوء, إلى, إلى, إلى.... الدروب تكاثرت و تكاثرت فيها المآسي, إلى الحدّ الذي امتلأ بنا الفراغ. بلد تطلق الكلاب وراءنا, و أخرى تحترقُ فيها خيامنا كأننا لم نغادر محارقنا و أخرى نعتاد الكره في عيون أناسها كالطعام و الشراب. "هل وصلتَ؟", تسأل امرأة. إلى ألمانيا نعم... و لكن... لا فائدة من الدّمع, فالمدن التّي بصقتني تباعا, حلب, أثينا, بلغراد, كيمنتس, برلين أو أيّ واحدة أخرى, لا تمتلك ليلا يسمح للسكارى و اللاجئين بالنسيان. الهناك التّي شرّدتني لم تقبلني كما أنا و الهنا تملك دائما قالباً من أجلي. لا بأس, و كما مشيتُ فوق حدّ السيف قبلا, دون أن أسقط, فسوف أحطّم قفل الدّرج لأخرج, لأقف أعلى من الهنا و من الهناك, قريبا من السماء أرى نفسي كما هي. أمّي منزعجة من انتشار الشّيب في شعري رغم ثلاثينيّتي, لكنّها لا تكون موجودة عند كلّ هجمة ذكرى, حين تخرج يد الحنين من الليل حاملةً صليبا لا ينتهي. البار ممتلئٌ بكلّ أنواع الكحول و لكن لا يوجد مشروب واحدٌ اسمه "تحمّل". على كلّ حال, بالفودكا الرّخيصة أستطيع استعادتي من الهناك المؤثّرة إلى الهنا الحياديّة و من الحينذاك المليئة بالأحلام و الآمال إلى الآن في البار. ثملتُ, تتقاذفني الشوارعُ أو الجهات, لكني لا أحاول المقاومة. هذا هو الحل الوحيد المتبقّي لكي لا أستسلم للأشباح و الكوابيس و التأقلم. في جواز سفري اللّجوئيّ و في خانة الجنسية "غير مُعَرَّف", ببطئ تغرقُ صورتي بقربها في عتمة باهرة, لكنّ هذا الفراغ في الهويّة ما عاد يزعجني, لهذا فإني أحاول أن أكتب معظم نصوصي باللّغة الألمانية, لأنها و بعكس اللغة العربية, لا تمتلك ذاكرة ندباتي و لا تناسب المنفى الذي هو عمليّا وطنها. المنفى كمصطلح لغويّ, و ليس كحالة وجودية, هو فقط مصنع تنهيدات, كما أنّه يثبت غباءه من جديد,كلّما حاول تقمّص شخصيّة الوطن, فلا هو سينجح في أداء دوره الأصليّ على المنصّة, وكما أنه سوف يُضحك الجمهور بارتجاله الساذج. منفى... وطن... هربتُ من هنا, أتيتُ إلى هناك, لكني لم أصل... و لن. |
| Ab der Flucht bis zum Nichtankommen Wie Troja größer als ihre Erober war, sind meine Wunden größer als die Kugeln, die sie verursachten, und wie sich Odysseus nicht verbeugte, sogar vor Zeus nicht, sondern entschied sich für seine Reise trotz des langen Verlorenseins, so entschied auch ich mich. Der Weg, den ich lief, war wie die Schneide des Schwertes, ich wusch es mit meinem Blut und stand durch, denn wer den Schmerz nicht durchsteht, fällt in den Nihilismus. Unsere Nächte, in denen uns unsere Narben nicht schlafen lassen, sind der dramatische Ausdruck von dem Sadismus unserer Gedächtnisse, die Begriffe schroteten, wie: - Heimat: „Es gibt keinen Grund mehr, sie zu suchen, weil sie nicht existieren wird,
weil sie nicht existierte“, sagt der ideale Pessimist. - Revolution: „Wir siegten nicht, aber eine Revolution, die zur Mutter von Generationen wurde, wird nicht besiegt“, sagt der reale Optimist.
- Krieg: „Es gibt nur eine Tür zum Hineinkommen und zum Hinausgehen.
Weder der Frieden hat einen Schlüssel, um hineinzukommen, noch der Tod hat einen Schlüssel, um hinauszugehen“; sage ich, der reale Pessimist. - Flucht: Vor den Kriegen, zu den Meeren, zu den Asyl-Behörden,
zu, zu, zu… Die Wege vermehrten sich und in ihnen vermehrten sich die Tragödien, bis das Vakuum von uns erfüllt wurde. Ein Land lässt seine Hunde auf uns von hinten los und noch ein anderes , in dem unsere Zelte verbrennen, als ob wir unsere Krematorien nicht verlassen hätten, und noch ein anderes, in dem wir uns an den Hass in den Augen seiner Menschen gewöhnen, wie an das Essen und das Wasser.
„Bist du angekommen?“; fragt eine Frau. In Deutschland ja… aber… Nutzlos sind die Tränen, denn die Städte, die mich hintereinander ausspuckten, Aleppo, Athen, Belgrad, Chemnitz, Berlin oder irgendeine andere, haben keine Nachtzeit, die den Betrunkenen und den Flüchtlingen das Vergessen erlauben. Das Dort, das mich vertrieb, akzeptierte mich nicht, so wie ich bin, und das Hier hat für mich immer eine Schublade. Es ist nicht so schlimm, und wie ich vorher auf der Schneide des Schwertes lief, ohne zu fallen, werde ich das Schloss der Schublade brechen, um hinauszugehen, um über dem Hier und dem Dort zu stehen, dann sehe ich nah an dem Himmel mein Selbst, so wie es ist. Meine Mutter ärgert sich über die Verbreitung der Ergrauung in meinem Haar obwohl ich erst in meinen Dreißigern bin, aber sie ist nicht da bei jedem Erinnerungsangriff, wenn die Hand der Sehnsucht aus der Nachtzeit hinausgeht, ein Kreuz tragend, das nicht endet. Die Bar ist voller aller Arten von Alkohol, aber es gibt kein Getränk, das „Aushalten“ heißt. Auf jeden Fall, mit dem billigen Wodka kann ich mich zurückholen von dem wirksamen Dort zu dem neutralen Hier und von dem Damals voller Träume und Hoffnungen zu dem Jetzt in der Bar. Ich besoff mich, die Straßen werfen mich umher, oder die Richtungen tun es, aber ich versuche, keinen Widerstand zu leisten. Das ich die einzige übriggebliebene Lösung, damit ich nicht vor den Gespenstern, den Albträumen und dem Anpassen kapituliere.
In meinem asylischen Reisepass, und bei der Staatsangehörigkeitsspalte steht „XXX, Ungeklärt“. Langsam ertrinkt mein Foto daneben in einer glänzenden Finsternis, aber dieses Vakuum in der Identität stört mich nicht mehr, deshalb versuche ich die meisten meiner Texte in deutscher Sprache zu schreiben, weil sie, im Gegenteil zu der arabischen Sprache, das Gedächtnis meiner Narben nicht hat, und zu dem Exil nicht passt, das praktisch ihre Heimat ist. Das Exil als ein sprachlicher Begriff, und nicht als ein existenzieller Zustand, ist nur eine Seufzenbrauerei, und es beweist immer wieder seine Dummheit, wann immer es versucht, sich in der Persönlichkeit der Heimat zu identifizieren, dann wird es bei der Ausführung seiner ursprünglichen Rolle auf der Bühne nicht gedeihen, und wird das Publikum mit seiner naiven Improvisation bloß zum Lachen bringen. Exil… Heimat… Ich flüchtete vor Hier, ich kam zu Dort aber ich bin nicht angekommen und werde es auch nicht. |
| | Ab der Flucht bis zum Nichtankommen © Thaer Ayoub |
| | | Off Europa Heimat Landschaften - Logo 2023 © Gabi Altevers |
| Zwischen 14. und 21. Mai 2023 werden wir in verschiedenen Spielstätten in Leipzig, Dresden und Chemnitz zeitgenössisches Theater und Tanz, Filme, Performances und Installationen präsentieren, die sich im weitesten Sinne mit dem Thema „Heimat“ beschäftigen. Das kann der eigene Körper sein, kann der Ort, das Land sein, wo man aufgewachsen und oder wo man angekommen ist, die Situation in der man lebt und oder arbeitet, kann „Wohlfühlen“ oder „fremd sein“ bedeuten. "Off Europa: Heimat Landschaften“, ein Jahrgang, der unterschiedliche Arbeitsweisen, verschiedene Herkünfte und mehrere Generationen von Theatermacher:innen in einem Programm vereinen wird. |
| | Off Europa 2023 hat auch einen Podcast. In sechs Folgen sprechen wir jeweils mit zwei Gästen über das Thema Heimat. Die Gäste sind entweder am diesjährigen Festival beteiligt und/oder haben aufregende, spannende, besondere Blickwinkel zum Thema Heimat. In der ersten Folge sprechen die Aktivistinnen Jasmin Blümel-Hillebrandt und Anna Stiede über die dunkle Seite von Heimat, über Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. MODERATION Sarah Hofmann REDAKTION Sebastian Göschel PRODUKTION Eva Morlang, Good Point Podcasts SCHNITT Tina Küchenmeister |
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| Off Europa ist eine Büro für Off-Theater-Produktion und wird veranstaltet in Zusammenarbeit mit den Spielstätten LOFFT - DAS THEATER in Leipzig, dem Societaetstheater in Dresden und Klub Solitaer e.V. bzw. der Off Bühne Komplex in Chemnitz Off Europa wird wesentlich finanziert durch die Stadt Leipzig - Kulturamt
Off Europa: Heimat Landschaften wird unterstützt von der Landeshauptstadt Dresden - Amt für Kultur und Denkmalschutz und der Stadt Chemnitz Off Europa: Heimat Landschaften wird gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. |
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